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Olaf Plotke | Kategorien Meldungen Medizinischer Dienst Westfalen-Lippe |

Off-Label-Use: Aktuelles und kontroverses Thema

Es war wieder ein aktuelles und kontroverses Thema, das das Diskussionsforum der SEG 6 aufgriff: Wann können Versicherte im Off-Label-Use ein Arzneimittel erhalten? Über diese Frage diskutierten die rund 90 Gäste im von Kleist-Forum in Hamm und bis zu 140 Gäste im Live-Stream mit den Referentinnen und Referenten.

Referentin und Referenten des 19. Diskussionsforums der SEG 6 in Hamm.
Bild: Referentin und Referenten des 19. Diskussionsforums der SEG 6 in Hamm.

Nach der Begrüßung durch den Vorstandsvorsitzenden des Medizinischen Dienstes Westfalen-Lippe führte SEG 6-Leiter Dr. Andreas Rhode in das Thema ein. Das Bundessozialgericht hat hier eindeutige Kriterien niedergelegt, bei denen aber die Gutachterinnen und Gutachter in der Einzelfallbegutachtung der Medizinischen Dienste an ihre Grenzen stoßen, da die Kriterien gegebenenfalls nicht erfüllt sind, aber auch kein anderes Arzneimittel zur Verfügung steht oder aber das beantragte Arzneimittel gegenüber den Alternativen besser geeignet ist. Resultiert hieraus dann ein Leistungsanspruch?

Prof. Dr. Ralph Kirscht von der SRH Hochschule NRW in Hamm hatte den Gästen zu Beginn erst verschiedene Ethikmodelle vorgestellt und brachte ihnen dann einen ethischen Kompass nähergebracht, auf deren Grundlage Entscheidungen getroffen werden können.

Dr. Frank Bockholdt, Richter am 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG), erläuterte die drei wesentlichen Kriterien für eine ausnahmsweise Verordnung im Off-Label-Use und die aktuelle BSG-Rechtsprechung zum Off-Label-Use.

Dann rückte in einem ersten Teil die Transgendermedizin in den Fokus der Veranstaltung. Zunächst führte Prof. Dr. Georg Romer als Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Uiversitätssklinikum Münster (UKM) in einen sehr engagierten Impulsvortrag zur pubertätsblockierenden Medikation die Sicht einer leitliniengerechten Versorgung aus, gefolgt von Dr. Wiebke Martinsohn-Schittkowski von dem Kompetenzzentrum Psychiatrie und Psychotherapie der Gemeinschaft der Medizinischen Dienste. Sie wies darauf hin, dass die Evidenz für diese Therapiemaßnahmen nicht ausreiche, weshalb die sozialmedizinischen Kriterien nicht erfüllt seien.

Dann wurden onkologischen Arzneimitteln beleuchtet. Prof. Dr. Bernhard Wörmann als medizinischer Leiter der DGHO und Prof. Dr. Axel Heyll als Leiter des Kompetenzzentrums Onkologie stellten das Dilemma vor dem Hintergrund eines sich rasant entwickelnden und von medizinischen Fortschritt geprägten Bereichs dar.

Emotional bewegend war das Sofa-Gespräch zwischen Prof. Dr. Christoph Schliemann als Bereichsleiter Hämatologie von der UKM, Oliver Kuhnert von Findeln als Betroffener und Dr. Rhode als Leiter der SEG 6. Es wurde sehr deutlich, dass hinter jedem Einzelfall ein Schicksal steht. Dr. Rhode: „Abstrakt sind die drei sozialmedizinischen Kriterien aus Schwere der Erkrankung, Alternativlosigkeit und entsprechender Evidenz ganz klar und verständlich. Ein regelhafter Leistungsanspruch bei nicht zugelassenen Arzneimitteln würde die Zulassung unterlaufen, die die Sicherheit, Qualität und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln sicherstellt. Außerdem würden dann Anreize fehlen, sich diesem Verfahren zu unterwerfen und ausreichend Daten zu generieren, damit wir die Rationale unseres Handelns weiter festigen. Aber hinter jedem Auftrag, bei dem die sozialmedizinischen Kriterien nicht erfüllt sind, steht ein Mensch mit seinem Leid und seiner Not. Und in einigen Konstellationen ist der medizinische Fortschritt schneller als die Weiterentwicklung anzulegender sozialmedizinischer Kriterien. Eine derart hoch individualisierte Medizin war vor 20 Jahren nicht absehbar“, erklärte Dr. Rhode. „Auch spielen gesellschaftliche und politische Strömungen eine Rolle, die Druck auf die Medizinischen Dienste ausüben, jedoch nicht die aktuelle Gesetzeslage und Rechtsprechung verändern. Der Medizinische Dienst ist ein neutraler und unabhängiger Begutachtungsdienst, die Gutachterinnen und Gutachter sind frei in der Begutachtung. Dieses ist ein hohes Gut, das wir aber auch nutzen müssen. Wir müssen den Kassen deutlich machen, ob die festen sozialmedizinischen Kriterien erfüllt sind, aber auch, ob für die Einzelfallentscheidung möglicherweise auch noch weitere Aspekte wichtig sind, damit die Kassen auf dieser Grundlage ihre Entscheidung abwägen und treffen können.“ Wünschenswert seien gesetzliche Regelungen zum Umgang mit dem Off-Label-Use, so Dr. Rhode abschließend.

Sowohl Dr. Martin Rieger als Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Westfalen-Lippe als auch Dr. Rhode blickten mit einem weinenden Auge auf den nahenden Ruhestand von Prof. Heyll als Leiter des KCO, der am 1. September seinen Ruhestand antreten wird. Dr. Rhode: „Prof. Heyll hat die Medizinischen Dienste über Jahre geprägt und sich einen exzellenten Ruf bei den Kassen und bei den Leistungserbringenden erarbeitet. Auch persönlich kamen und kommen Prof. Heyll und ich sehr gut miteinander aus. Ich bedauere sehr, dass er in den Ruhestand geht, wünsche ihm nur das allerbeste und vor allem Gesundheit für seine Zeit nach der Arbeit.“

Am Ende zog Dr. Peter Dinse, stv. Vorstandsvorsitzender des Medizinischen Dienstes Westfalen-Lippe, ein zufriedenes Fazit: „Es war eine sehr gelungene Veranstaltung, die noch einmal deutlich gemacht hat, wie wichtig die Aufgabe ist, die wir als Medizinischer Dienst in dem System wahrnehmen.“

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